Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
liebe Genossinnen und Genossen,
als ich mir in den letzten Tagen überlegt habe, welche Worte und Gedanken ich mit Euch und Ihnen anlässlich der ersten parlamentarischen Sommerpause teilen möchte, konnte ich mir noch nicht vorstellen, welche Entwicklung dieser letzte Sitzungstag mit sich bringen würde. Wir haben heute erlebt, wie eine herausragende Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht mit einwandfreiem Werdegang und bester Qualifikation Opfer einer beispiellosen Schmutzkampagne geworden ist.
Was wir heute aber auch erleben mussten, ist die bewusste Demontage unseres höchsten deutschen Gerichts und unserer demokratischen Institutionen. Das ist brandgefährlich.
Es geht also nicht nur um unsere vorgeschlagene Kandidatin. Indem zunächst versucht wurde, mit aus dem Zusammenhang gerissenen politisch interpretierbaren Aussagen aus der Vergangenheit eine Kandidatin in ein schlechtes Licht zu rücken, hat das gesamte Wahlverfahren bereits schweren Schaden genommen. Dabei sollten alle Demokraten wissen, dass man politische Meinungen und juristische Qualifikation trennen muss. Das zeigen auch Beispiele aus der Vergangenheit, in der beispielsweise ehemalige CDU-Politiker zu Verfassungsrichtern gewählt wurden und in dieser Funktion ihr Amt hervorragend und politisch neutral ausgeführt haben. Völlig unbeschriebene Blätter, die sich noch nie nachweisbar zu politischen Fragen geäußert haben und trotzdem fachlich geeignet wären, gibt es nach meiner Auffassung nicht.
Auch, dass die Union, die auf Elon Musks Plattform X erhobenen Plagiatsvorwürfe durch einen österreichischen Akteur – der in der Vergangenheit oft ähnliche Vorwürfe ohne Erfolg gegen andere erhoben hat – als Grundlage dafür genommen hat, unsere vorgeschlagene Kandidatin Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf nicht mit wählen zu wollen, entbehrt meiner Auffassung nach jeder sachgerechten Grundlage. Zumal der vermeintliche „Plagiatsjäger“ die Vorwürfe mittlerweile selbst zurückgezogen hat.
Der heutige Tag hätte sich nie so abspielen dürfen, gerade weil wir unsere Kandidatinnen mit der Unionsführung abgestimmt haben. Wir haben uns auf den gemeinsamen Vorschlag geeinigt. Entsprechend fand unser gemeinsamer Vorschlag am Montag auch die nötige Zweidrittelmehrheit im Richterwahlausschuss.
Die Wochen der parlamentarischen Sommerpause müssen wir daher zwingend nutzen, um diesen Vorgang mit der Union in aller Gründlichkeit aufzuarbeiten, damit wir in den kommenden Jahren eine vertrauensvolle und zielorientierte Regierungsarbeit für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erreichen.
Für mich ist klar: Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht. Zumal sich bereits jetzt zeigt, dass die Vorwürfe eines Plagiats von dem eigentlichen Verfasser nicht aufrechterhalten werden.
Unabhängig davon, möchte ich den Start der parlamentarischen Sommerpause dennoch dafür nutzen, um in einer persönlichen Erklärung meine Sicht auf die ersten Monate der neuen Bundesregierung darzulegen.
Seit ein paar Monaten bin ich nun Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Das ist eine große Ehre. Gleichzeitig spüre ich eine riesige Verantwortung. Es tut dabei gut, auch immer wieder Rückmeldungen aus meinem Wahlkreis zu bekommen.
Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen verunsichert sind. Die Kriege dieser Welt, die Sorgen um die Folgen des Klimawandels oder die Angst, den Lebensstandard nicht mehr halten zu können. All diese Dinge führen nach meiner Beobachtung dazu, dass in der Gesellschaft eine große Anspannung spürbar ist, die Polarisierung nicht nur im Bereich der „Sozialen“ Medien zunimmt und die Parteien Zuspruch bekommen, die vermeintlich einfache Antworten haben.
Welche Rolle kann und muss die SPD in diesen Zeiten in Regierungsverantwortung wahrnehmen?
Klar ist, die Bundestagswahl war bitter. Es gibt eine rechnerische Mehrheit von CDU/CSU und AfD. Die SPD-Mitglieder haben mit einer überwältigenden Mehrheit für die Koalition aus SPD und CDU/CSU gestimmt. Wir haben in den letzten Sitzungswochen etwa beim Familiennachzug gesehen, dass der Koalitionsvertrag auch schwierige Kompromisse enthält. Dennoch möchte ich immer wieder betonen, dass bei einer rechten Mehrheit in all diesen Dingen weitaus negativere Maßnahmen erfolgen könnten. CDU/CSU wollten den Familiennachzug unbegrenzt aussetzen, der Kompromiss sieht jetzt zwei Jahre vor. Und auch nur für sogenannte subsidiär Schutzberechtigte. Anerkannte Asylbewerber:innen können ihre Familien weiter zusammenführen. Denn wir wissen, dass Integration besser gelingt, wenn Familien zusammenbleiben. Darüber hinaus haben wir auch für alle anderen Fälle Härtefallausnahmen durchgesetzt. Ohne die SPD stünden wir heute vor einer ganz anderen Politik. Natürlich reicht es dennoch nicht, die Regierungsbeteiligung damit zu rechtfertigen, man habe Schlimmeres verhindert.
Deshalb möchte ich denen zurufen, die die SPD gerade kritisch sehen: Es ist die SPD, die die Handlungsfähigkeit des Staates gerade herstellt. Das ist die zentrale Voraussetzung für eine gute Zukunft. Die SPD steht dafür, dass wir die Gemeinschaft brauchen, um Gerechtigkeit und Stabilität in einer Gesellschaft herzustellen. Es geht darum, persönliche, gesellschaftliche und nationale/europäische Sicherheit zu gewährleisten!